Bökelberg

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Sonntag, 6. November 2011

Spandau Ballet


Die große Diskussion über Gewalt beim Fußball nötigte die Webseite "Der Fussballgott und sein Prophet" dazu, sich ein eigenes Bild von Fußballfans auf einer Auswärtsfahrt zu zeichnen und schonungslos aufzudecken, wie Aggression und Zerstörungswut Einzug in die Gesellschaft halten. Getarnt als Borussia-Fan fuhr ich "Undercover" mit im Sonderzug nach Berlin um mir ein eigenes Bild zu zeichnen und war zutiefst erschüttert über so manches, was an diesem Tag passierte. Hier ein Erfahrungsbericht:

Samstag Morgen 8.12 Uhr Dortmund HBF
Der Sonderzug aus Mönchengladbach rollt ein. Beim Einstieg fällt mir sofort die Zugbegleitung auf. Bis an die Zähne unbewaffnete kantige Männer mit grünen Jacken und der Aufschrift "FPMG" (wahrscheinlich eine Abkürzung für "Freies Para-Militär Gladbach") kontrollieren die Zusteigenden Fans auf ihre Mitfahrberechtigung in Form von grünen Armbändchen. Der Mob soll schon von Beginn an im Zaum gehalten werden. Die meisten werden in Stehwagons, die eine Art Theke beherbergt, zusammengepfercht und mit gekühlten, gelblichen Getränken (wohl so eine Art Baldrian) und ruhiger Entspannungsmusik in einen trance-ähnlichen Zustand versetzt. Der Rest wird in Sechser-Zellen (hier allerdings als "Abteil" bezeichnet) untergebracht, die zum Gang zur Beruhigungsmittel-Ausgabe verlassen werden dürfen. Eine Art "offener Vollzug" wie ich feststellen muss. Meine Nerven sind bereits bis zum Zerreißen gespannt als ich meine "Zelle" zugewiesen bekomme, die ich mit 5 anderen potentiellen "Sport-Gewalttätern" teilen muss.
Vor mir spielen sich in den folgenden Stunden unglaubliche Szenen ab. So urinieren die Zuginsassen beispielsweise wahllos hinter verschlossenen Türen in zur Dekoration aufgestellte Keramik-Behälter und besitzen noch die Frechheit, die Wasserreserven des Zuges zum waschen der Hände zu verschwenden. Des weiteren werden leere Dosen und Plastikflaschen achtlos und mit an Vandalismus grenzender Raserei in blaue Beutel geschmissen. Widerlich! Angst steigt auf in mir und die Befürchtung, den Tag nicht unbeschadet zu überleben.

10.12 Uhr Hannover HBF
Zwischenstop in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Der "Con-Train" bekommt nochmals Zuwachs. Die Fenster werden aufgerissen und unbescholtene Reisende werden hemmungslos angeguckt! Als der Zug seine Fahrt fortsetzt erreicht die Aggression ein neues Ausmaß. Vulgäre Lieder mit sexistischem Inhalt wie z.B. "Hier kommt der VFL" werden gegrölt. und ich beginne mich zu ekeln. Auf was habe ich mich da nur eingelassen?

12.26 Uhr Berlin-Spandau
Der Zug erreicht sein Ziel. Was im nachfolgenden Geschieht ist nur noch sehr schemenhaft in meinem Gedächtnis, denn es geht alles so schnell. Die Meute steigt aus dem Gefährt aus und verlässt den Bahnhof in Richtung Rathaus Spandau, wo ein Treffen mit hiesigen Gleichgesinnten stattfinden soll.Wie ich später von Augenzeugen erfahre, belagern die "Fans" den Ratskeller und zelebrieren etwas, das offiziell eine Party sein soll. Es soll vereinzelt zu heftigen Umarmungen zwischen einheimischen und angereisten Borussen gekommen sein. Sogar mit alkoholischen Getränken soll "angestoßen" worden sein. Ich muss mich von der Masse absetzen und das bis hierhin erlebte erstmal verdauen.

15.15 Uhr Berlin Olympiastadion


Vor den Stadiontoren bildet sich ein riesiger Pulk, der darauf wartet in den Innenraum zu gelangen. Auf Grund des hohen Risikos bei dieser Partie sind die Einlasskontrollen an diesem Tag deutlich verschärft worden und es kommt zu Verzögerungen beim Einlass. Die Unruhe steigt und in einer mir bisher noch unbekannten Form von Gewalt werden die Ordner am Eingang genervt angeguckt. Ein Pulverfass kurz vor der Explosion. Zu Gunsten meiner eigenen Sicherheit nehme ich auch gerne in Kauf, den Beginn des Spiels und die ersten 15 Minuten zu verpassen. Der Auswärtsblock ist mit etwa 6000 Gladbachern total überfüllt, und so kommt es dazu das ich mich inmitten der Fans und nur etwa einem Quadratmeter Platz um mich herum eingekesselt und gefangen fühle. Nicht wenige benutzen Pyrotechnik in Form von kleinen weißen Stangen, die mit einer Feuerquelle entzündet werden und immer wieder kleine Rauchschwaden durch den Mund freisetzen. Die Situation droht in meinen Augen zu eskalieren. Erst Recht als Hertha das 1:0 markiert und der Mob um mich herum verächtlich abwinkt. Die Borussia siegt am Ende dann aber noch durch 2 Tore von einem talentierten jungen Spieler, der von vielen hier für mich nicht nachvollziehbar angehimmelt und wie ein Gott gepriesen wird. Nun also auch noch Blasphemie. Es wird vor nichts zurückgeschreckt an diesen schwarzen Tag für den deutschen Fußball.
Ich habe genug gesehen und mache mich auf schnellsten Weg zurück nach Spandau.

20.32 Uhr Berlin-Spandau
Der Zug hat Probleme in den Bahnhof einzufahren. Die Menschenmasse die lautstark auf den Zug wartet, ist nur schwer unter Kontrolle zu halten. Provokant werden Lieder von Meisterschaften, UEFA-Cup und Pokalsiegen schwadroniert. Nicht auszudenken, wie die Situation gewesen wäre, hätte Gladbach das Spiel verloren. Nach etwa 60-minütiger Verspätung rollt der Zug in den Bahnhof ein. Die Szenerien vom Vormittag wiederholen sich hundertfach und ich sehne mich meinem Ziel Dortmund HBF entgegen. Ein Tag, den ich wohl Zeit meines Lebens nicht vergessen werde, geht dem Ende entgegen. Wo soll das alles noch hinführen? Ich habe die Situation gnadenlos unterschätzt. In 2 Wochen spielt Borussia daheim gegen Bremen und der Wahnsinn geht weiter. Ich halte es für meine Pflicht, auch bei diesem Spiel das Geschehen explizit im Auge zu behalten, damit weiterhin schonungslos offen gelegt wird, in welche Gefahr man sich bei einem Bundesliga-Spiel begibt.

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